Berufsunfähigkeitsschutz – Werbung und Wahrheit – (2)

Berufsunfähigkeitsschutz – Werbung und Wahrheit

Ein Artikel in zwei Teilen – Heute – 2. Teil:

Hier finden Sie den 1. Teil vom 09.12.12 >„Berufsunfähigkeit – Werbung und Wahrheit“ (Teil 1)

Teil 2: „Infektionsklausel“ und „Verzicht auf befristete Anerkenntnis“

1. Infektionsklausel

Definition gem. BU-Versicherungsbedingungen

Die Infektionsklausel wird von einigen Versicherern als besonders wichtig und als „Highlight“ – insbesondere für Mitarbeiter von Heilberufen – beworben. Schauen wir uns diese Klausel einmal genauer an. In einigen Versicherungsbedingungen zum Berufsunfähigkeitsschutz mit Infektionsklausel finden wir ähnliche Formulierungen:

„Berufsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn eine auf gesetzlichen Vorschriften oder behördlicher Anordnung beruhende Verfügung der versicherten Person verbietet, wegen einer von ihr ausgehenden Infektionsgefahr ihre hauptberufliche Tätigkeit auszuüben (vollständiges Tätigkeitsverbot) und sich dieses vollständige Tätigkeitsverbot auf einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erstreckt.“

Diese Klausel hört sich zumindest einmal nützlich und klar formuliert an. Um den Wert dieser Klausel beurteilen zu können, sind auch gesetzliche Regelungen aus dem Infektionsschutzgesetz zu betrachten. Was finden wir dort ?

Infektionsschutzgesetz

  • § 31  – Berufliches Tätigkeitsverbot

„Die zuständige Behörde kann Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagen. Satz 1 gilt auch für sonstige Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht.“

Die Ausübung des Berufes kann also verboten werden. Dabei kann man zwar „Überträger“ sein, muss aber nicht zwangsläufig als krank bezeichnet werden. Eine Krankheit ist aber – gem. BU-Definition – eine Voraussetzung für die Berufsunfähigkeitsrente. Eine weitere Bestimmung des Infektionsschutzgesetzes muss ebenso betrachtet werden:

  • § 56 – Entschädigung

„Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. …“

Tätigkeitsverbot nur gegen Entschädigung

Für das Tätigkeitsverbot erhält der Betroffene also einen Verdienstausfall per Gesetz. Die Höhe des Verdienstausfall berechnet sich dabei bei Angestellten wie bei einem Krankheitsfall (Lohnfortzahlung 6 Wochen; im Anschluss Krankengeld). Bei Selbständigen beträgt die Entschädigung jeweils ein 1/12 des Einkommens pro Monat.

Tätigkeitsverbote nach Infektionsschutzgesetz in der Realität

Nach Recherchen des Analysehauses Franke & Bornberg geben befragte Gesundheitsbehörden folgende Auskünfte:

  • in der Praxis gibt es überwiegend Teiltätigkeitsverbote
  • Vollverbote sind Einzelfälle
  • überwiegend gibt es befristete Tätigkeitsverbote
  • Tätigkeitsverbote mit einer Dauer von 6 Monaten sind Einzelfälle

Unwahre Werbung oder Tatsache ?

Unwahre Werbung liegt hier sicher nicht vor. Immerhin sind die Klauseln rechtlich einwandfrei formuliert. Diese Klausel als „besonders wichtig“ oder gar als „Highlight“ heraus zu stellen, ist jedoch nichts anderes als „Werbung“.

Fazit

  • echte Praxisfälle sind über die Infektionsklausel meist nicht gedeckt, da nur ein vollständiges Berufsverbot mit einer Dauer  von mindestens 6 Monaten zu einer Leistung führen.
  • die Notwendigkeit dieser Klausel ist fraglich, da existenzielle Verdienstausfälle durch die gesetzliche Entschädigungsvorschrift nicht vorhanden sind.
  • Leistungsfälle aufgrund der Infektionsklausel sind (nach Franke & Bornberg) bei den Versicherern kaum bekannt.

Abschließend kann festgestellt werden, dass die Infektionsklausel ein „nice to have“ ist, solange sie keine Beitragsteile kostet. Wichtiger sind jedoch ganz andere Bedingungspunkte.

2. Verzicht auf befristete Anerkenntnis

Nach Prüfung der Antragsunterlagen auf eine Berufsunfähigkeitsrente kann der Versicherer seine Leistung zeitlich befristen; z.B. um weitere Unterlagen oder ärztliche Befunde genauer zu prüfen. Es gibt Versicherer, die auf eine solche Befristung verzichten. Was bringt dem Versicherungsnehmer dieser Verzicht und was genau verbirgt sich hinter dieser Klausel und anderen gesetzlichen Bestimmungen ?

Definition gem. BU-Versicherungsbedingungen

„Nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen erklären wir, ob und in welchem Umfang wir eine Leistungspflicht anerkennen. Wir sprechen keine zeitlich befristeten Anerkenntnisse aus. …“

Diese Klausel ist klar formuliert und ohne zeitliche Befristung. Eine solch unmißverständliche Klausel ist leider nicht oft zu finden. Sinn oder Unsinn einer solchen Klausel steht aber auch in direktem Zusammenhang mit dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Dort finden wir

§ 173 VVG – Anerkenntnis

(1) Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag bei Fälligkeit in Textform zu erklären, ob er seine Leistungspflicht anerkennt.

(2) Das Anerkenntnis darf nur einmal zeitlich begrenzt werden. Es ist bis zum Ablauf der Frist bindend.

Es wird deutlich, dass der Versicherer – ohne die Verzichtsklausel – ohnehin nur einmal die Möglichkeit hätte, die BU-Rente für einen befristeten Zeitraum an zu erkennen.

Befristung der (vorläufigen) BU-Leistung ist ein Vorteil für den Versicherer

Durch eine Befristung bleibt dem Versicherer bis zum Ablauf des befristeten Zeitraums ausreichend Zeit, die Berufsunfähigkeit detailliert zu prüfen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn bei dieser Erstprüfung auf BU ist immer der Versicherte beweispflichtig, dass ein BU-Fall vorliegt. Wird der Leistungsfall abschließend bestätigt, ist bei jeder Nachprüfung der Berufsunfähigkeit immer der Versicherer in der Beweispflicht, dass eben keine BU mehr vorliegt, um die Rentenzahlung einstellen zu können.

Unwahre Werbung oder Tatsache ?

Ist der Verzicht auf die befristete Anerkenntnis nun eine für den Kunden vorteilhafte Tatsache oder unwahre oder irreführende Werbung ?  Wie sieht es in der Praxis bei der Leistungsregulierung aus ? In der Praxis verfahren BU-Versicherer, die eine solche Verzichtsklausel im Berufsunfähigkeitsschutz führt meist wie folgt:

  • die Leistung wird per „Individualvereinbarung“ für einen bestimmten Zeitraum gezahlt, jedoch ausdrücklich noch nicht anerkannt, um alle Unterlagen genau und abschließend prüfen zu können. Die Leistung wird sozusagen als „Entgegenkommen“ bewertet.
  • durch diese Individualvereinbarung werden die Versicherungsbedingungen quasi für den vorläufigen (und befristeten) Zahlungszeitraum „aufgehoben“.

Fazit

Die Verzichtsklausel allein stellt also keine Sicherheit vor befristeten Leistungen dar, weil sie durch eine Individualvereinbarung meist ausgehebelt wird. Es gibt jedoch Verzichtsklauseln, die – wenn diese genau und detailliert formuliert – eine Sicherheit vor befristeten BU-Renten bieten, wenn sie z.B.

  • grundsätzlich unbefristet eine BU-Rente zahlen, bis zur abschließenden Beurteilung.
  • in Ausnahmefällen eine max. Befristung von 12 Monaten aussprechen und bis zum Ende dieser Frist an die Zahlung gebunden sind.

Solch klare Regelungen machen die Verzichtsklausel nützlich für den Versicherten, sind jedoch leider nur selten zu finden.


2 Meinungen zu “Berufsunfähigkeitsschutz – Werbung und Wahrheit – (2)

  1. Gerd Kemnitz sagt:

    Sehr geehrter Herr Rindermann,

    zu Punkt „2. Verzicht auf befristetes Anerkenntnis“ komme ich zu einem anderen Fazit.
    Wenn sich nämlich der Versicherer schon in den Versicherungsbedingungen das Recht sichert, in Ausnahmefällen eine maximale Befristung von 12 Monaten auszusprechen, so hat der Versicherungsnehmer hierzu kein Mitspracherecht mehr. Er hat die Bedingungen schon bei Vertragsabschluss akzeptiert und der Versicherer kann einseitig entscheiden, ob es sich im konkreten Fall um einen „Ausnahmefall“ handelt.
    Versicherer, die bedingungsgemäß auf befristete Anerkenntnisse verzichten, können dagegen nur noch durch eine Individualvereinbarung – also nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers – ein befristetes Anerkenntnis aussprechen. Von einem „Aushebeln“ kann keine Rede sein, denn der Versicherungsnehmer wird seine Zustimmung nur geben, wenn auch er überzeugt ist, dass die Befristung vorteilhaft für ihn ist. Sollte sich später herausstellen, dass der Versicherer bei dieser Individualvereinbarung seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis zum Nachteil des Versicherungsnehmers ausgenutzt hat, läuft er Gefahr, bei einem Rechtsstreit zu unterliegen – siehe LG Potsdam Urteil v. 27.09.2012 (Az.: 6 O 311/11).
    Deshalb ist der ausnahmslose Verzicht auf ein befristetes Anerkenntnis für den Versicherungsnehmer durchaus vorteilhaft – auch wenn einige Versicherer versuchen, dies anders darzustellen.

    Mit kollegialem Gruß

    Gerd Kemnitz

    • Frank Rindermann sagt:

      Hallo Herr Kollege Kemnitz,

      vielen Dank für Ihrern Beitrag.
      Eine Individualvereinbarung dient dazu, entsprechende Passagen der Versicherungsbedingungen zu ändern oder nicht wirken zu lassen, also „auszuhebeln“. Ein Versicherungsnehmer wird – ohne rechtlichen Beistand – allein schon wegen der Hoffnung auf eine schnelle Rentenzahlung einer solchen Individualvereinbarung meist zustimmen. Diese Vereinbarung hat dabei in erster Linie den Zweck, die vertragliche Befristung der Leistungsprüfung zu „verlängern“. Ich kann keinen Vorteil feststellen, wenn ein rechtliche Bindung durch ein anderes Recht aufgehoben werden kann.

      Das von Ihnen zitierte Urteil des LG Potsdam bezieht sich – unter anderem – auf die Bindung der Anerkenntnis der BU aus der Individualvereibarung. Ob die Nutzung einer Individualveinbarung selbst – als Instrument der Bedingungs“aufweichung“ Sinn macht oder nicht, wird in dem Urteil nicht besprochen.

      Mit kollegialem Gruß
      Frank Rindermann

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